Historisches zum Schreber- und Kleingarten in Deutschland
Anders als man denkt: Dr. Daniel Moritz Gottlob Schreber (1808–1861), Kinderarzt und Orthopäde ist nicht der Begründer des Schrebergartens. Der als einer der Urheber der modernen Naturheilkunde geltende Dr. Schreber war Leibarzt des russischen Fürsten Alexej Somorewskij, Hochschullehrer an der Universität Leipzig und rief zusammen mit anderen Professoren den ersten Leipziger Turnverein ins Leben. Zudem schrieb er Bücher wie „Die Eigenthümlichkeiten des kindlichen Organismus im gesunden und kranken Zustande“ (1839), „Der Hausfreund als Erzieher und Führer zu Familienglück und Menschenveredelung“ (1861) und den Bestseller „Die ärztliche Zimmergymnastik“ (1855).
Zu Lebzeiten prangerte Schreber die mangelhaften Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in den Städten an. Ziel war es, in den Zeiten der Industrialisierung grüne Areale für Kinder als Spielstätten zur Förderung der Gesundheit zu schaffen. Erst sein Schwiegersohn, Schuldirektor Dr. Hauschild sollte die Schrebergartenbewegung drei Jahre nach dem Tod Schrebers 1864 ins Leben rufen. Schrebervereine waren anfangs keine Gartenvereine: Leipziger Bürger legten in Zusammenarbeit mit den Eltern als ersten Eltern- und Erziehungsverein den „Schreberplatz“ an, um Kindern ausreichend Platz für das Spielen und Turnen zu bieten und nannten sich in Gedenken an Schreber Schreberverein.
Oberlehrer Heinrich Karl Gesell war es, der begann – noch unumzäunt – Gärtchen für die Kinder um die Spielwiese herum anzulegen. Doch bei den Kindern fehlte es an Interesse, zunehmend verwilderten die Beete und so übernahmen die Eltern die Pflege der Kleingärten am Rand der „Schreberschen“ Spielstätte. Schließlich wurden die Grünflächen umzäunt, um nicht Fremden zu ermöglichen, sich an ihrer Ernte gütlich zu tun und die kultivierten Parzellen Schrebergärten genannt. 50 Jahre später, 1913 gab es in Leipzig 15.000 Schrebergärten, die 100.000 Menschen Erholung boten.
In den Anfangszeiten der Schrebervereine galt das Gärtnern als sekundär, primär stand das Kind im Mittelpunkt, wichtig war es, dem Kind das Spielen zu ermöglichen und es pädagogisch anzuleiten. So steht bei authentischen Schrebervereinen heute noch ein Spielplatz im Zentrum der Gartenkolonie. Bald gab es Nachahmer des Leipziger Schrebergartens und so wurden in zahlreichen Städten derartige Gärten ins Leben gerufen. Aus der Not heraus errichteten um 1870 viele Kleingärtner aufgrund des katastrofalen Wohnungsnotstands heraus schließlich Holzhäuser, die ersten Lauben entstanden.
Kleine Pachtgärten gab es bereits um 1830. Gemeinden riefen diese Kleingärten ins Leben, um „dem schädlichen Einfluß des Groß- und Industriestadtlebens auf die ärmere Bevölkerung in wirtschaftlicher, gesundheitlicher und sittlicher Beziehung entgegenwirken“. Von Gemeinden organisiert wurde Bedürftigen statt finanzieller Unterstützung Land zur Verfügung gestellt, die diese „Armengärten“ – unentgeltlich oder gegen eine geringe Pacht – bewirtschafteten.
Im 19. Jahrhundert wurde am Stadtrand hingegen mitunter „Bauerwartungsland“ für die Stadtbevölkerung angeboten. Die hier von Arbeiterfamilien verrichtete Gartenarbeit „sollte zu Fleiß und Familiensinn erziehen und die Arbeiter von Alkohol und Politik fernhalten“.
In Berlin wurden die Schrebervereine zu Verbänden und diese im sogenannten Zentralverband deutscher Arbeiter- und Schrebergärten zusammengefasst, zu dem auch mit über 760 Vereinen und 440.000 Mitgliedern u.a. der allgemeine Verband der Eisenbahnvereine zählte. Die deutschen Eisenbahnvereine der Staatsbahnen boten den Bediensteten zur Pacht kleine Gärten auf Bahngrund, Staats- oder gepachtetem Grund an. Die für die Schrebergärten geeigneten Flächen durften keine große Entfernung zum Wohnort den Bediensteten haben. In Betracht gezogen wurden auch „Ablagerungsplätze für Schutt und Abfälle“, die eine Wasserversorgung boten. Durch die Anreicherung von Muttererde und Dünger wurde aus einem Müllabladeplatz anbaufähiger Boden. Die Flächengröße eines Schrebergartens betrug zwischen 100 bis 300 Quadratmetern. Die Wasserversorgung, Wege, Einfriedungen und Spielplatz wurden nach einem einheitlichem Plan konzipiert. Des weiteren galt bei den Laubenpiepern, dass die Aufrechterhaltung der Ordnung möglichst den Garteninhabern selbst zu überlassen sei. Sie hätten einen Gartenausschuss eigenhändig zu wählen und zu begrüßen sei eine fachliche Aufsicht durch einen Gartenbaukundigen. Und weiter: „Vorträge Fachkundiger über Gartenbau, Verwertung der Erzeugnisse, allgemeine Lebenshaltung, Kindererziehung u. dgl. wecken und erhalten die Teilnahme an der ganzen Einrichtung. Dem gleichen Zweck dienen auch alle Maßnahmen, die den Ehrgeiz der Garteninhaber und ihren Wetteifer zu heben geeignet sind: so insbesondere die Aussetzung von Preisen für die am besten und erfolgreichsten gepflegten Gärten; die Preise bestehen am besten in Büchern, Zwergobstbäumchen von edler Art, Blumenzwiebeln für die Zimmerpflege im Winter, Sämereien von Zierblumen … Alles, was vom persönlichen Geschmack abhängt wie die Ausschmückung der Gärten durch kleine Gartenhäuschen u.s.w., überlasse man nach Möglichkeit den Garteninhabern; doch verhindere man offenbare Geschmacklosigkeiten und erlasse auch Vorschriften in jenen Grenzen, die durch billige Rücksichtnahme auf die Gartennachbarn (Schatten u.s.w.) gegeben sind. Auch in der Neigung für Zwergobst-, Blumen- oder Gemüsezucht u. dgl. beschränke man die Garteninhaber möglichst wenig; man verbiete nur den Kartoffelbau, weil durch diesen der Wert der Gärten als Bildungsmittel für den Ordnungs- und Schönheitssinn und als Beschäftigungsmittel und Erholungsort zu sehr beeinträchtigt wird.“
Anmerkungen zu Daniel Moritz Gottlob Schreber
Schreber schenkte der Leibeserziehung und der strengen Kindererziehung große Beachtung. Er forderte absoluten Gehorsam. Diese unerbittlich autoritäre Haltung – auch „Schwarze Pädagogik“ genannt, basierend auf Gewalt und Einschüchterung – bekamen auch seine Kinder zu spüren. Er erzog sie u.a. mittels orthopädischer Geräte zu „gesunder Haltung“, erfand beispielsweise „disziplinierende“ Geräte, die die Kinder mittels Gürtel auf Stühle fixierten, damit sie am Tisch die gewünschte Körperhaltungen einhielten und gerade saßen. So konnten – anhand einer seiner Apparaturen – Mädchen nachts nur auf dem Rücken schlafen.
Diese Erziehung hatte wohlmöglich zur Folge, dass dies zu den späteren Geisteskrankheiten der beiden Söhne Schrebers beitrug. Einer der beiden, Daniel Gustav, beging mit Ende 30 Selbstmord, der andere, Daniel Paul Schreber, der mehrmals psychisch erkrankte, verbrachte insgesamt vierzehn Jahre seines Lebens in Nervenheilanstalten. Er verfasste schließlich die „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ mit dem Anhang: „Unter welchen Voraussetzungen darf eine für geisteskrank erachtete Person gegen ihren erklärten Willen in einer Heilanstalt festgehalten werden?“ Diese Untersuchung gilt als ein wichtiges Werk in der Psychiatrie und erhält bis heute in der psychologisch-medizinischen Begutachtung Berücksichtigung.
Jennifer Hieber